Auf Anfrage der Fraktion der Linken im Bundestag hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages ein Gutachten mit dem Titel "Völkerrechtliche Implikationen des amerikanisch-britisch-französischen Militärschlags vom 14. April 2018 gegen Chemiewaffeneinrichtungen in Syrien" erstellt. Das Dokument erschien am 18.04.2018 und ist hier online abrufbar.
Auszüge aus dem Text:
"(...) Völkerrechtliche Repressalien (Gegenmaßnahmen in Form von militärischen Vergeltungsschlägen) gegen einen Staat sind grundsätzlich unzulässig. Dies gilt auch dann, wenn eine Regierung eine zentrale Norm des Völkerrechts verletzt hat, die einen Staat gegenüber allen anderen Mitgliedern der Staatengemeinschaft verpflichtet und an dessen Einhaltung alle Staaten ein rechtliches
Interesse haben (sog. erga-omnes Normen).
Das grundsätzliche Repressalienverbot gilt auch dann, wenn ein Staat einen internationalen Vertrag wie die Chemiewaffenkonvention und entsprechende VN-Resolutionen (wie die Sicherheitsratsresolution 2118 (2013)) verletzt und mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen ein Kriegsverbrechen begangen hat. Die Verletzung einer Völkerrechtsnorm durch einen Staat begründet keinen „Blankoscheck für unilaterale Zwangsmaßnahmen“ seitens einer „Koalition der Willingen“. Vielmehr sieht das Völkerrecht rechtsförmige Mechanismen vor – sei es im Rahmen der Chemiewaffenkonvention, sei es im Rahmen des Völkerstrafrechts – um internationale Konventionen durchzusetzen, deren Einhaltung zu überwachen sowie Rechtsgutverletzter zur Verantwortung zu ziehen und einen Völkerrechtsbruch zu ahnden. Dass die Durchsetzung solcher Rechtsmechanismen angesichts der russischen (Blockade-)Haltung im VN-Sicherheitsrat oder angesichts der Schwierigkeiten, Untersuchungen der OPCW im syrischen Douma durchzuführen, eher theoretisch als praktisch und effektiv erscheint, tut der völkerrechtlichen Bewertung keinen Abbruch. Umso mehr fällt in diesem Zusammenhang ins Gewicht, dass im Falle der alliierten Militärschläge vom 14. April 2018 die Ergebnisse der OPCW-Untersuchungen in Syrien nicht einmal abgewartet wurden. (...)"
"(...) Die britische Rechtsposition zu den Militärschlägen gegen Syrien, der sich Deutschland im Grundsatz offenbar angeschlossen hat, kann im Ergebnis nicht überzeugen. Abgesehen von der fehlenden Kohärenz der „humanitären Anteile“ dieser Argumentation –
erstens ist fraglich, ob die Militärschläge wirklich geeignet sind, weiteres Leiden zu verhindern, insbesondere mit Blick auf die mutmaßlich künftigen Opfern des andauernden Syrienkonflikts; zweitens ist fraglich, warum gerade der Chemiewaffeneinsatz angesichts eines sieben Jahre währenden Bürgerkriegs in Syrien das qualitativ entscheidende Ereignis darstellt, um eine humanitäre
Intervention zu begründen – stellt der britische Ansatz lediglich eine weitere „Spielart“ der Rechtsfigur der sog. „humanitären Intervention“ ohne Sicherheitsratsmandat und dem Konzept der völkerrechtlichen Schutzverantwortung (R2P) dar.
Wegen der bestehenden Missbrauchsgefahr ist die Zulässigkeit einer humanitären Intervention bis heute völkerrechtlich ausgesprochen umstritten und erscheint als gewohnheitsrechtliche Ausnahme vom völkerrechtlichen Gewaltverbot jedenfalls nicht tragfähig. Wie bereits im Fall der Kosovo-Intervention 1999 lässt sich festhalten, dass völkerrechtswidriges Handelns nicht dadurch „geheilt“ wird, dass es moralisch legitim ist. Aus der Legitimität staatlichen Handelns erwächst nicht automatisch dessen Legalität. (...)"
Wir weisen in diesem Zusammenhang auch noch einmal auf unsere Pressemitteilungen vom 13.04. und 14.04.2018 hin:
PM vom 14.04.2018: "Deutsche Politik muss deeskalierend wirken, nicht Öl ins Feuer gießen"
PM vom 13.04.2018: "Kriegsrhetorik im Syrienkonflikt stoppen - Deeskalation jetzt!"